„Hey, alles klar bei dir?“ Scheinbar schon wieder irgendjemand, der seine Deutschkenntnisse am frühen Morgen an uns ausprobieren will. Aber der Herr macht weiter. Ob es uns gut gehe? Wie es uns in der Türkei gefalle? Ob wir alles hätten, was wir bräuchten? Aufwendig popele ich meine AirPods aus den Ohren und unterbreche damit meine Arbeit. Ich reiche dem Herrn die Hand. Danach seinen beiden Kollegen, die sich als sein Cousin und sein Freund aus der Jugend vorstellen. Man lebe in Gelsenkirchen, feiere Schalke 04 und biete uns Mittagessen und Dusche an. Eigentlich wollen wir heute rüber nach Georgien. Eigentlich muss ich jetzt auch erst mal ein ISO-Audit per Teams bestehen. Eigentlich hört hier auch schon die Türkei auf. Also – fangen wir doch lieber von vorne an 😉
Was hat die Türkei zu bieten?
Wir fahren mit gemischten Gefühlen über die Grenze in das ehemalige Osmanische Reich. Klar, Pauschalurlaub am Mittelmeer haben wir natürlich auch schon mal gemacht. Aber wie die Türkei wirklich aussieht, was die Politik mit dem Land gemacht hat, wie sicher es wirklich ist – wir haben keinen blassen Schimmer. Auf dem gesamten bisherigen Weg werden wir auf der Autobahn von deutschen Kennzeichen begleitet. Wir haben das Gefühl, dass sämtliche Autobahnen in Ungarn, Serbien und Bulgarien ausschließlich für diesen Zweck gebaut wurden. Im Notfall sollten wir also in der gesamten Türkei auf Deutsch kommunizieren können. Das ist doch schon mal was!
Wie so oft, sind unsere Sorgen schon am ersten Tag vom Wind des Schwarzen Meeres verweht. Die Landschaft ist ein absoluter Traum. Kilometerlange einsame Strände mit spannenden Klippen und ausreichend Offroad-Strecken an jeder Ecke. Es treiben sich kaum Leute im Norden der Türkei auf der europäischen Seite rum. Die meisten davon sind Türken aus Istanbul, die eine kleine Abkühlung suchen. Wenn man aber jemanden trifft, dann sind die Leute super aufgeschlossen und nett. Ehe ich mich versehe, fängt ein Kerl an unseren Otto zu waschen. Hammer! Hier bleiben wir.
Aber wie sieht es mit der Küche aus? Zurück von der Küste steuern wir das erste hübsche Restaurant an. Das ist aus dem Pauschalurlaub noch hängen geblieben: Die türkische Küche ist opulent und schmackhaft. Genau das richtige für diesen Tag. Der Laden hat aber leider zu. Obwohl da Leute sitzen. Vielleicht ein Kommunikationsproblem, aber wir bekommen gleich eine Wegbeschreibung zu einem anderen Restaurant.
Türkisch sieht es hier irgendwie nicht aus. Eher russisch oder sowas. Ein netter Junge versorgt uns mit unseren Wünschen und richtet uns einen Tisch an der schroffen Felskante zum Meer. Zum Nachtisch wissen wir endlich warum es hier anders aussieht. Die Betreiber kommen aus Usbekistan. Wenn es dort genauso gut schmeckt wie hier, dann sind das schon sehr gute Aussichten.
Das Trojanische Pferd
Irgendwann brechen wir auf in Richtung Istanbul. Eine sagenumwobene Stadt. Noch größer als New York. Stundenlange Staus, eine krasse Architektur und mittendrin der faszinierende Bosporus bei 39° im Schatten. Für uns ist das aktuell alles etwas zu trubelig und so beschließen wir kurzerhand die Stadt hinter uns zu lassen. Istanbul ist ja nur ein Steinwurf von Deutschland entfernt. Wir kommen also irgendwann nochmals auf einen Städtetrip vorbei. Jetzt ist dafür aber nicht der passende Zeitpunkt. Wir sind begeistert von der Freiheit, die wir hier genießen dürfen. Zwei Tage länger bleiben, weil es so schön ist? Kein Problem. Die Sehenswürdigkeit auslassen, die man unbedingt gesehen haben muss, weil wir einfach keinen Bock drauf haben? Kein Problem.
In den Reisevorbereitungen hatte ich eigentlich für die Türkei nur ein Bild vor Augen: Die Heißluftballons in der skurrilen Szenerie Kappadokiens. Angelika hat mir vor vielen Jahren mal einen Gutschein für eine Heißluftballonfahrt geschenkt. Ohne zu wissen was sowas kostet und wo man sowas am besten erlebt. Jetzt gibt es keine Ausreden mehr! Türkei heißt für mich Einlösung des Gutscheins. Egal was kommt 😉
Nur liegt Kappadokien knapp 1.000 km weiter im Osten. Die Zeit müssen wir also irgendwie überbrücken. Wäre doch sonst Verschwendung der wertvollen Reisekilometer. Wir tanken also Kultur pur. Die Ruinen von Troja, ein Haufen griechischer Geschichte, Museen und geile Strände. Alles liegt hier mega dicht beieinander. Als absolute Frechheit empfinden wir es, dass das Trojanische Pferd gerade neu gebaut wird. Das war meine einzige gute Note in Geschichte, weil ich gerade kurz zuvor einen Trojaner programmiert hatte.
Jede Ecke im Westen des Landes hat eine Geschichte zu erzählen die tausende Jahre alt ist. Und für jeden Eintritt dürfen Ausländer den exakt 10-fachen Eintrittspreis gegenüber den Einheimischen zahlen. Uns ist es das wert und so bekommt der Geschichtsunterricht doch noch ein paar handfeste Beweise.
Päusschen am Straßenrand & am See
Auf dem Weg gen Osten wird es uns langsam heiß. Wir brauchen dringend einen See zum Abkühlen. Angelika findet auf google Maps einen ultra großen See, der genau passend sein sollte. Komischerweise ist der See auf der Karte Weiß statt Blau eingezeichnet, aber das juckt uns nicht großartig.
Gut zwei Stunden vor dem See machen wir eine kurze Pause auf der Autobahn. Wir müssen mal wieder die Trinkflaschen auffüllen und uns die Füße vertreten. Irgendwie behagt uns der Platz aber nicht, bis uns ein LKW-Fahrer mit seinem Çay-Glas zuwinkt. Wir sollen uns doch zu ihm dazugesellen. Der Mann fährt eine wertvolle Fracht von Fernsehern durchs Land und ist dabei nicht alleine. Begleitet wird er in den Sommerferien von seiner Frau und einem seiner Söhne. Zu dritt wohnen sie in dem kleinen Führerhäusschen und genehmigen sich zwischendurch in den Pausen Tee, Kekse und youtube. Ganz normales Leben also.
Es ist unsere erste Begegnung mit einer fremden muslimischen Türkin und der Austausch könnte untypischer wohl nicht sein. Er spricht nur türkisch. Der Junge hat zwar Englisch in der Schule, aber keinen Bock. Die Mutter hasst die übertrieben romantischen Fernsehserien ihrer Heimat und schaut deshalb seit Jahren Netflix. Mit dem Ergebnis, dass wir uns richtig gut auf Englisch unterhalten können. Nur durch Fernsehen, ohne praktische Anwendung!! Wir sind mal wieder begeistert und erfahren viel über Land & Leute!
Die Familie lacht sich über unseren See kaputt und wünscht uns viel Spaß beim Schwimmen. Der Tuz Gölü ist größer als der Bodensee. Allerdings besteht er komplett aus Salz und nicht aus frischem Bergwasser. Einladend ist das ganze trotzdem und so spazieren wir ein paar Stunden später mit zig anderen Touris über den See. 70% des Salzes in der Türkei kommt von hier. Und wir treten es gerade mit Füßen…
Das Ziel naht: Kappadokien
Die Steppe wird in den nächsten Tagen hügeliger und Kappadokien kündigt sich endlich an. Morgen ist unser 10. Hochzeitstag im Leben. Wir waren beide vorher noch nicht verheiratet, ist also eine Premiere. Wir wollen es uns also gut gehen lassen und buchen nicht irgendein Hotel, sondern eines der berühmten Cave-Hotels. Vor hunderten von Jahren von Hand in den Berg geschlagen. Heute veredelt um einigen Luxus und mit einem grandiosen Ausblick auf Zentralanatolien. Der Garçon warnt uns gleich vor, dass hier nix mit Ausschlafen wäre. Spätestens um 05:30h sollten wir uns auf der Terrasse einfinden, um die zahllosen Heißluftballons in den Himmel aufsteigen zu sehen. Na das sind ja mal rosige Aussichten.
Zwei Tage später um 04:00h. Heute müssen wir sogar noch früher aufstehen, denn jetzt sind wir an der Reihe. Angelika hat auf türkische Art & Weise den Luftballon-Trip gebucht. Die Frau eines türkischen Kollegens aus Deutschland hat eine Cousine, die einen Mann hat, der Heißluftballonführer ist. Und genau mit den Jungs geht es heute up in the air. Alles ist perfekt organisiert. Wir bekommen den kompletten VIP-Service. Foto-Sessions for dem Ballon, die besten Plätze im Ballon und natürlich bringt uns der Shuttle-Service auch als erstes wieder zum Hotel. Ein fettes Danke nochmals an Havva & Eray für die meisterhafte Orga!
Hat man eigentlich Höhenangst in so einem Ballon? Der Ballonführer, ein echter Hühne und ein gut Stück größer als ich, fährt uns eine Weile knapp über dem Boden entlang. Scheinbar eine kleine Eingewöhnungsphase. Dann scheint das Feuer über uns nicht mehr auszugehen. Sekunden später rasen wir in den Himmel und kurzzeitig wird uns etwas mulmig zumute. Zum Glück verfliegt das aber schnell und später erklärt man uns, dass es beim Fliegen scheinbar keine Höhenangst gibt.
Angst in der Türkei fliegen zu gehen, gibt es dennoch zu Hauf. Vor 10 Jahren sind die bunten Ballons wohl noch regelmäßig abgestürzt. Viele der Einwohner Kappadokiens haben sich den Spaß also bisher verkniffen. Zum Glück erfahren wir das erst nach dem Flug 😉
Wir treffen echte Meenzer
Wir treffen eine Freundin aus Deutschland. Die Frau des Kollegen von Angelika von oben. Wir sind locker für abends bei uns im Hotel verabredet. Ihre Eltern leben gerade mal einen Ort entfernt und wir freuen uns auf einen netten Austausch. Lautes Gelächter und eine ganze Armee von Menschen treten auf einmal an unseren Tisch. Havva hat es sich nicht nehmen lassen die halbe Familie mitzubringen und Angelika eine tolle Überraschung zu bereiten. Kurzerhand werden wir eingepackt und sind bei den Eltern eingeladen. Ganz im Sinne von „Mainz meets Kappadokien“ dürfen wir eine mega herrliche Gastfreundschaft erleben und ich bekomme endlich mal ein paar Gesichter zu den Arbeitsgeschichten von Angelika zu sehen. Vielen Dank für den überragenden Abend und eure Unterstützung!
Einmal Full-Service beim Friseur mit Kaffee, Rasur & Haare schneiden und schon sind wir aus Kappadokien auch wieder raus. Zwei Tage lang geht es durch Steppenlandschaft, bis wir wieder am Schwarzen Meer zurück sind. Der Style ist hier allerdings ein ganz anderer als rund um Istanbul. Es wirkt trockener, ursprünglicher und beschwerlicher. Touristen verlaufen sich hier nicht. Auch wenn es super interessant ist diese Natürlichkeit zu erleben, wollen wir nun weiter nach Georgien. Und genau hier übt man Deutsch mit uns. Zumindest vermeintlich.
Unfassbare Gastfreundschaft der Lasen & Usbeken
Mein Teams-Termin ist gerade vorbei und Angelika und ich diskutieren angeregt, ob wir die Einladung aus Gelsenkirchen annehmen sollen. Ich will weiter. Angelika will bleiben. Klar wer hier gewinnt. Zum Glück! Selma und Sedat nehmen uns sowas von herzlich auf. Sie sind in dem Dorf an der Grenze groß geworden und irgendwann nach Deutschland gezogen. Mittlerweile in der Rente, besuchen sie jeden Sommer für 3 Monate Familie und Freunde und leben im alten Elternhaus. Wir müssen duschen gehen, dann unsere Wäsche abgeben und uns dann ganz herrlich verwöhnen lassen. Stunde um Stunde wächst die Gemeinschaft auf der Terrasse an. Immer mehr Freunde und Nachbarn versammeln sich hier, um das Wochenende einzuläuten. Aus dem kleinen Mittagessen wird eine fette Party.
Plötzlich diskutieren alle darum wo wir übernachten. Beim Anwalt im Nachbarsdorf mit dem großen Garten? Oder bei der Usbekin, die hat auch viel Platz? Auf jeden Fall dürfen wir nicht im Defender bleiben. Kurzerhand wird die Party zur Usbekin verlagert und wir hocken noch stundenlang bei Kaltgetränken, Piano-Vorspielen und Geschichten über Lasen und Türken zusammen. Vielen Dank für den mega geilen Tag und die Herzlichkeit, die ihr ausstrahlt! Das geht auch an Erdal 😉
Die erste echte Grenze
Der erste Grenzer fordert Angelika auf das Auto zu verlassen. Nur der Fahrzeugeigentümer darf über die Grenze fahren. Alle anderen Passagiere haben sich gefälligst zu Fuß in Bewegung zu setzen. Jetzt geht also das Warten los. Getrennt. Angelika spricht fließend russisch, ich kann bisschen Deutsch 😉 Kann also lustig werden. Zentimeter um Zentimeter schiebt sich die Karawane zwischen Türkei und Georgien voran. Kaum Autos, fast nur LKWs. Bei den Türken geht es lustig chaotisch zu und ich mogle mich darin super durch. In Georgien wird es nun ernster, denn ich bin nicht der Fahrzeugeigentümer. Das „GmbH“ hinter dem Bernd Hauser kennt man hier komischerweise doch. Ich werde also weitergereicht und darf bei einem Grenzer nach dem anderen vorstellig werden. Einer ist dann kreativ und fragt mich, ob das nicht einfach ein Familiengeschäft wäre? Dann wäre ja alles kein Problem, weil ich ja auch zu der Familie gehören würde. Ich bekomme den Stempel in den Pass und darf Angelika endlich wieder aufnehmen. Sie wartet schon ewig auf mich an der Schranke.
Gerade sitzen wir im Starkwind in den Bergen Georgiens. Alles anders als in der Türkei. Menschen, Essen und Gepflogenheiten. Der Spaß an der Reise hat aber keineswegs abgenommen. Auf ins nächste Abenteuer.
PS: Die türkischen Werkstattgeschichten ersparen wir euch heute. Nur so viel: „Ich sehe im Computer, dass dieses Landrover-Teil noch nie in der Türkei war.“ Irgendeine Hinterhofwerkstatt 300 km weiter hatte die Dichtung dann doch und konnte alles in 30 Minuten einbauen…