Irgendwie habe ich ein Händchen dafür meinen Geburtstag in der UDSSR zu feiern. Mal in Moskau am Flughafen, weil wir den Anschlussflug verpasst haben. Mal in Russland bei einer Tour mit dem UAZ und jetzt soll es schon wieder Russland sein. Bis zu meinem Geburtstag müssen wir aber noch ein paar Abenteuer bestehen und die starten gut gesichert an der Grenze.
Grenzabenteuer mit dem Zoll
Alles wirkt vollkommen geordnet und freundlich. Passkontrolle: Kein Problem. Prüfung von Otto: Alles paletti. Verzollung von Otto: Oh, das ist ein Problem. Die Russen haben sich hierfür ein besonderes Prozedere überlegt. Du brauchst einen DIN A4 Ausdruck, der zwingend auf Vorder- und Rückseite bedruckt ist. Hier musst du 347 komische Sachen ausfüllen. Damit gehst du dann zu einer Bude und bekommst im Austausch einen kleinen Zettel. Den gibst du der Reihe nach diversen Zöllnern und kommst dann wieder zurück. Mit ein bisschen Glück ist der Spuk nach 30 Minuten vorbei und du bekommst deinen Pass und einen weiteren Schnipsel zurück. Herzlich Willkommen in Russland!
ABER, wenn auf deinem Zettel ein Rechtschreibfehler drauf ist, eine Angabe nicht korrekt ist oder der Zettel gefaltet wurde, einen Kaffeefleck hat oder der Zöllner grad kein Bock hat: Dann musst du einen frischen Zettel komplett von vorne ausfüllen. Ich war natürlich so schlau und habe den Zettel schon fertig ausgefüllt aus Deutschland mitgebracht. Blöde nur, dass ich ein Feld zu viel ausgefüllt habe und wir uns also doch hintenanstellen mussten. Wir kamen mit zwei Versuchen hin. Wir haben aber auch fluchende Menschen getroffen, die erst beim 5. Mal durchgekommen sind 😉 Die Genauigkeit in Russland wird uns auf der Reise noch ein paar Mal begegnen. Sinn macht es allerdings nirgendswo so richtig.
Gut gelaunt geben wir endlich den letzten Schnipsel ein paar Kilometer hinter der Grenze einem Militär in die Hand. Jetzt geht es also richtig los. Unser erstes Ziel führt uns nach Stawropol, einer typischen Sowjetstadt. Alles quadratisch, alles Grau, alles mehr oder minder sortiert. Ich würde sagen, dass es in keiner Disziplin das klassische Urlaubsziel ist. Mit den Begegnungen, die wir hier machen, wird es aber zu einem warmen Lieblingsort.
Straßen wie in Deutschland
Nach dem Rumgegurke in Georgien sind die Straßen Russlands ein wahrhafter Traum. Es gibt echte Autobahnen und Otto rennt geradezu vor sich hin. An die Geschwindigkeitsbegrenzungen scheint sich keiner zu halten. Wir sind sehr adaptionsfähig, sodass wir natürlich zu keinem Verkehrshindernis werden 😉 Plötzlich, Blaulicht hinter uns. Aber das passiert hier ständig. In allen Ländern der ehemaligen Sowjetunion ist es absoluter Standard, dass bei allen Polizeikarren dauerhaft das Blaulicht an ist. Zum Glück ohne Sirene, aber dennoch auffällig.
Der Wagen fährt nun parallel zu uns. Ich grinse rüber und fahre weiter. 100m weiter müssen wir dann doch stehen bleiben. Verkehrskontrolle. Wir denken nichts Böses. Wie immer gebe ich meinen deutschen Führerschein raus. Damit ist das Thema in der Regel schnell abgehandelt, aber der Kollege hat heute mehr vor. Ein deutsches Auto – das riecht nach einer wunderbaren Möglichkeit. Wir steigen also aus.
„Ich weiß ja nicht wie das in Ihrem Land ist, aber Sie sind über eine durchgezogene Linie gefahren“.
„Keine Ahnung, ich weiß nichts von irgendeiner Linie.“
„Ich will Ihnen die Reise ja nicht versauen, aber bei uns gibt es dafür hohe Strafen. Mancher muss dafür sogar ins Gefängnis.“
„In Deutschland darf man über Linien fahren. Die sind eher als Richtwert zu sehen.“
„Interessant. Bei uns ist das ein Problem. Was machen wir denn jetzt?“
„Keine Ahnung. Was machen wir denn jetzt?“
So geht das sicherlich 10 Minuten lang. Uns ist natürlich schnell klar, dass hier eine kleine oder große Spende gefordert wird. Bis jetzt haben wir solche Situationen immer umschiffen können, aber der Kerl ist wirklich hartnäckig. Unser erstes Angebot erntet nur ein lautes Lachen von dem Hilfspolizisten. Aber wir hätten doch sicherlich auch Euros dabei, oooder?
Jetzt ist es also passiert. Zum ersten Mal im Leben haben wir jemanden ganz offiziell geschmiert. Obwohl, eigentlich war das eher sehr versteckt. Angelika will dem Typen gerade das Scheinchen überreichen, da winkt er aufgeregt ab. Was die Leute denn denken sollten, wenn sie das sehen? Also wird das Ganze in einen Handschlag verpackt und die Welt ist in Ordnung. Komische Weltordnung, aber wir sind nun mal nicht zuhause.
Im Laufe der weiteren Reise sprechen wir immer wieder mit Einheimischen darüber, wie man mit solchen Situationen umgehen solle. Leider nicht sonderlich hilfreich, denn die Meinungen gehen von „Auf gar keinen Fall & nie zahlen!“ bis hin zu „Musst auf jeden Fall zahlen, das ist die Mafia.“. Fürs nächste Mal sind wir auf jeden Fall vorbereitet – mit gut sortierten 5€ Scheinen.
Zuhause in Stawropol
Stawropol fühlt sich sofort heimisch an. Sicher nicht wegen der sowjetisch-quadratischen Architektur. Aber ganz sicher, weil hier ein Teil Angelikas Familie lebt. Ich habe die noch nie gesehen, Angelika schon seit vielen Jahren nicht mehr, aber wir werden sofort super herzlich aufgenommen. Die Tage vergehen im Fluge, wir werden in Vollzeit bespaßt und zu allen erdenklichen Sehenswürdigkeiten geführt. Natürlich auch mit den besten Speisen des Landes vollgestopft, sodass wir uns kaum noch rühren können. Wir genießen die Zeit in vollen Zügen und schließen neue Freundschaften in der Familie.
Daneben dürfen wir auch sehr spannende Einblicke in die Adventgemeinde in Russland bekommen. Wir hatten immer super viele Russlanddeutsche bei uns in der Gemeinde, sodass mein Bild ganz leicht vorgeprägt ist. Aber ich komme hier aus dem Staunen nicht mehr raus. Fette Bühnentechnik, Schlagzeug, Café, öffentliche Veranstaltungen, um Bekanntheit zu erlangen und die Liste geht weiter. Das ist alles nicht weit von livingroom entfernt und wir sind hier im vermeintlich erzkonservativen Russland. Angelikas Opa hat als Kirchenpräsident von Kirgistan wohl schon in den 90ern Schlagzeuge legitimiert. Da muss man um die halbe Welt reisen, um solche Stories zu erfahren 😀
Wir sind wieder unterwegs in der Natur und lassen das aufgeregte Stadtleben hinter uns. Langsam schraubt sich Otto die Berge hoch. Wir sind wieder im Kaukasus unterwegs und der Abend kommt immer näher. Wir finden einen bombastischen Schlafplatz mit überragendem Ausblick. Gerade machen wir es uns zum Abendessen gemütlich, da ziehen die Wolken mit einer rasenden Geschwindigkeit zu. Nach zwei Minuten sind wir komplett in Nebel eingehüllt. Wir sehen keine fünf Meter weit. 14 Stunden lang bleibt der Spaß erhalten, bis wir uns endlich wieder aus dem Gebirge befreien können.
Stürmische Begrüßung in Tschetschenien
Tschetschenien. Die Gegend hat durch den Ukrainekrieg wieder an Bekanntheit gewonnen und so denkt natürlich jeder gleich an Ramsan Kadyrow, an brutale Soldaten und an Krieg im Allgemeinen. Wir waren vor ein paar Jahren schon mal hier und waren komplett überrascht von der Schönheit der Natur und der Gastfreundschaft der Leute hier. Wir sind diesmal nur auf der Durchreise nach Dagestan.
Wir rollen auf die rote Ampel zu. Plötzlich schießt irgendeine russische Schrottkarre von hinten an und hält mit einer Vollbremsung schräg vor uns. „Hey guys, are you russians?“ brüllt ein gut gelaunter Tschetschene zu uns rüber? Wir sind völlig überrumpelt und stottern irgendwas von Germany vor uns hin. Der Typ knallt den Rückwärtsgang rein und hält jetzt direkt neben uns. Er lebe in Belgien und besuche grad seine Familie. Sau geil, dass wir hier mit dem Auto sind. Falls wir irgendwo Schwierigkeiten bekommen sollten, einfach bei ihm anrufen. Nachdem er uns bei Whatsapp hinzugefügt hat, rast er mit quietschenden Reifen weiter. Die Ampel ist mittlerweile wieder Rot.
All-inclusive Tour durch Dagestan
Neben Tschetschenien liegt Dagestan. Wer sich nicht mit dem Kaukasus beschäftigt, hat davon vermutlich noch nie gehört. Wir sind vor ein paar Jahren mit einem gemieteten UAZ Bus für zwei Wochen hier unterwegs gewesen und haben die Ecke voll ins Herz geschlossen. Damals haben wir gesagt, dass wir irgendwann mal mit dem eigenen Auto hierherkommen. Jetzt ist es soweit, aber wir haben irgendwie keine Lust großartig auf Entdeckungstour zu gehen.
Also holen wir unseren Freund Andreas von der UAZ Family dazu, der uns eine geile Tour plant. Wir bekommen Koordinaten, Nummern von Kontaktpersonen, eine Karte und einen Zeitplan. Andreas hat mit seiner Familie jahrelang hier gelebt und alle möglichen Ecken entdeckt, die man normalerweise nicht zu Gesicht bekommt. Von diesem Schatz an Erfahrungen dürfen wir jetzt vollkommen entspannt profitieren. Normalerweise machen wir abends immer noch eine Planungsrunde. Das heißt jetzt nur noch „Andreas kümmert sich schon“ – und schon geht es am nächsten Tag zum nächsten Erlebnis.
Party mit dem Polizeipräsidenten
Unseren letzten Abend in Russland wollen wir nochmals richtig schön und ruhig ausklingen lassen. Das beste Restaurant der Stadt heißt so viel wie „Blick nach Paris“. Das ist doch mal eine Ansage und tatsächlich, wir werden keinesfalls enttäuscht. Schöne Séparés, bezaubernde Bedienungen und unfassbar leckeres Essen. Vollkommen vertieft ins Gespräch und ins Essen landet eine Flasche bester Weißwein bei uns auf dem Tisch. Wo der bitte herkomme? Wir hätten gerade nichts bestellt. Eine kleine Aufmerksamkeit des Nachbartisches. Wir gehen also rüber, bedanken uns herzlich und fragen, wie wir denn zu dieser Ehre kommen würden.
Das erklärt sich sehr schnell: Einer der Herren habe als Kind eine Deutschlehrerin gehabt. Irma habe er von ganzem Herzen verehrt und als er in seinem Ohr wieder deutsche Worte vorfand, machte sein Herz nach vielen Jahren wieder einen Satz nach vorne 😉 Natürlich wird nicht lang rumgefackelt und schon sitzen wir in einer illustren Herrenrunde, die den Sonntagabend locker bei 6-7 Flaschen feinstem Vodka ausklingen lassen. Der Polizeipräsident der Gegend in Dagestan, ein Unternehmer und ein Jäger. Was für ein krasses Gespann, was für ein krasser Abend. Wir dürfen nicht mehr von der Seite weichen. Die Party verlagert sich irgendwann zum Unternehmer nachhause. Prompt wird die Frau um Mitternacht rausgeholt, um ein paar Snacks und weitere Drinks zu servieren. Die Musik wird lauter, die Stimmung ist ausgelassen und irgendwann finden wir uns allein mitten im Poolhaus in irgendeiner russischen Stadt.
Ab nach Kasachstan
Leider müssen wir jetzt etwas auf die Tube drücken. In ein paar Tagen erwartet uns Adrian in Usbekistan und bis dahin müssen wir tausende Kilometer durch die Steppe ballern. Kurzer Transit für zwei Tage in Kasachstan und schon fliegen wir auf der anderen Seite des Landes wieder raus mit Ziel Aralsee. Wir sind hin und hergerissen von der Natur hier. Wir waren noch nie längere Zeit in der Steppe. Ewige Weiten. Einfach nichts. Außer hier und da ein paar coole Kamele & Dromedare. Tankstellen gibt es alles 3-400 KM. Das war es aber. Das Kasachstan auch ganz anders kann, erfahren wir später noch.
Herzlichen Dank für die netten Einblicke. Ich bekomme Fernweh. Johannes
Sehr gerne! Du gehst doch sicher auch bald wieder auf Reisen, oder?
So tolle Berichte von eurer Reise. Was am meisten berührt, sind die herzlichen Begegnungen. Das macht so Mut in diesen Zeiten. Seid gesegnet!
Das können wir wirklich mit vollem Herzen sagen: Wir haben bisher überall so tolle Menschen getroffen! Das ist echt der Wahnsinn 🙂
Liebe Angelika, lieber Bernd,
soo schön
Ich musste grad mal bei Google nachverfolgen, wie ihr gefahren seid. Unglaubliche Einblicke und Erfahrungen, die ihr macht.
Ich habe mich niemals für den östlichen Bereich der Welt interessiert, aber gerade die Fotos und kurze Beschreibungen der Natur haben mich voll geflasht.
Interessant auch, dass wildfremde Menschen so aufmerksam sind und es gleich blicken, welche Sprache ihr sprecht und welche Nationalität Otto hat. Das beruhigt mich, momentan hat jeder eher das Bedürfnis sich zurückzuziehen bei dem Chaos in der Weltpolitik. Von Gastfreundschaft gar nicht zu sprechen.
Ich frage mich die ganze Zeit, was mache ich HIER eigentlich?
Bitte weitere Berichte 😌
Liebe Grüsse
Birgit
Liebe Birgit,
vielen Dank für deine Worte und schön, dass wir dich einwenig inspirieren konnten. 🙂
Die Welt ist voller Wunder! Du darfst sie auch in den östlichen Teilen entdecken. 😉
Ganz liebe Grüße